Wenn nicht an ihren Gegnern, so scheiterten sie doch an der „langen und zahllosen Zeit“, die nach einem Wort des Dramatikers Sophokles alles, was sie offenbar macht, auch wieder ins Verborgene versenkt. Könige, Potentaten und Diktatoren ließen wenig unversucht, der Zeit entgegen zu arbeiten und ihr Andenken zu wahren. Sie bestallten eigene Historiker, errichteten Triumphbögen, stifteten Kulte und Tempel, ließen Ehreninschriften verfassen oder Münzen prägen. Mit den Bildnissen Alexanders des Großen begann der Siegeszug des Herrscherporträts. Das Interesse der Regenten am Nachleben traf sich mit dem Wunsch des Publikums, vergangener Größe oder vergangenem Schrecken aus zeitlich sicherer Distanz „ins Auge zu sehen“.
Auch Caesar dachte an die Nachwelt. Eine Statue des Diktators stand im Quirinus-Tempel, eine andere auf dem Capitol, eine dritte auf der Rednerbühne, eine vierte aus Elfenbein wurde beim Festzug während der Zirkusspiele auf einem Wagen in die Prozession der Götterbilder eingereiht. Einer Statue im Victoria-Tempel des kleinasiatischen Ortes Tralles rühmte er sich selbst in seinen Schriften. Und auf dem Forum Iulium in Rom präsentierte er sich als neuer Alexander, indem er den Kopf eines dort aufgestellten Reiterbildnisses des makedonischen Königs durch sein eigenes Porträt ersetzen ließ.
Eingeschmolzen, umgearbeitet, entsorgt
Wichtiger als Inschrift und Bild aber war Caesar die historiographische Überlieferung seiner Taten. Anders als Alexander wollte er deren Schilderung nicht den Berufshistorikern überlassen. Zehn Bücher Commentarii stammen aus seiner Feder, sieben über den Krieg gegen die Gallier, drei über denjenigen gegen Pompeius und die eigenen Bürger. Der Nachruhm währte freilich nur kurz. Schon in der Catilina-Monographie Sallusts, dem einstigen Günstling Caesars, gewinnt der große Gegenspieler Cato an Boden; Augustus distanzierte sich versteckt von seinem Adoptivvater und in der Dichtung Lucans wird Caesar bereits in Neronischer Zeit zum Schlächter an den Mitbürgern.
Caesars Bildnisse wurden eingeschmolzen, umgearbeitet oder in Abfallgruben, Brunnen und Gewässern entsorgt. Es blieb kein einziges erhalten, das sich durch einen Namenszug ihm mit Sicherheit zuweisen ließe. Sein schriftliches Werk verschwand, bereits im fünften Jahrhundert hielt der Historiker Orosius den „Gallischen Krieg“ für ein Werk des Biographen Sueton. Erst in der Renaissance wurden die Commentarii wiederentdeckt, 1469 zum ersten Mal gedruckt und im neunzehnten Jahrhundert auch allgemeine Schullektüre. Wer das Gymnasium besuchte, kam seitdem nicht mehr an Caesar vorbei. Doch die Commentarii vermitteln kein Bild vom Staatsmann Caesar. Der Autor versteht es, von allen seinen Zielen zu schweigen. Der Leser begegnet im „Bellum Gallicum“ einem Feldherrn, der von Sieg zu Sieg eilt und nicht einmal in den Pausen die Maske des überlegenen Strategen ablegt.
Das zwanzigste Jahrhundert wollte seinen Kopf
So entstand Neugier auf den Mann hinter den Zeilen, doch der „authentische“ Porträtkopf, der sie hätte befriedigen können, fehlte. Im letzten Jahr des Diktators, 44 vor Christus, prägten die beiden berühmten Münzmeister Buca und Mettius qualitätsvolle Denare, aber alle Münzen zeigen Caesar nur im Profil. Wie im sechzehnten Jahrhundert nach Scipio-Köpfen, im achtzehnten nach denen Catos gesucht wurde, so wollte das zwanzigste den seinen Vorstellungen entsprechenden Caesar-Kopf. Der durch Münzvergleich als gesichert geltende Caesar-Typus Pisa-Chiaramonti, ein etwas heroisierter Kopf mit festem Lockenschema, den die Vielzahl der Repliken als berühmten Mann ausweist, war offenbar augusteisch. So genügte er den Ansprüchen auf „Authentizität“ nicht, zumal ihm die vom Biographen Sueton bezeugte Stirnglatze fehlte, die Caesar angeblich kaschierte, indem er das spärlich gewordene Haar über den Scheitel von hinten nach vorn kämmte oder den Lorbeerkranz trug, den ihm Senat und Volk als Auszeichnung verliehen hatten.
Er will ihn sofort erkannt haben: Luc Long mit der Büste aus der Rhône
Der „gewünschte“ Kopf musste dann aber erst gar nicht ausgegraben werden. Er war bereits 1825 in Tusculum gefunden worden und lag mehr als hundert Jahre in einem Turiner Museum, bis ihn der Archäologe M. Borda 1943 „zweifelsfrei“ als zeitgenössischen Caesar erkannte. Er besitzt die von Sueton beschriebene Stirnglatze, die Haare sind von hinten nach vorn gestrichen, mit den Münzbildern stimmen der lange, faltige Hals überein und der gestreckte Schädel mit dem ausladenden Hinterkopf. Aber vor allem ist es natürlich ein Caesar, wie er in seinen letzten Lebensjahren, in denen das Porträt entstanden sein soll (das inzwischen auch wieder zur Kopie eines Originals herabgestuft wurde), ausgesehen haben kann: ein gealterter Mann, gezeichnet von den Anstrengungen eines vierzehnjährigen permanenten Kriegszustandes mit Feldzügen in drei Erdteilen, ratlos angesichts seines politischen Scheiterns. Es ist der Caesar, den wir heute sehen wollen, und so wird er sich auch gegen den „grünen“ Kopf aus ägyptischem Hartgestein in Berlin (Fälschung?) oder die Neufunde des einundzwanzigsten Jahrhunderts behaupten. Paul Zanker hat sich an diesem Montag in der „Süddeutschen Zeitung“ schon in diesem Sinne geäußert.
Gefürchtet und gefeiert wie noch kein Mensch vor ihm
Weder der Caesar, der 2003 aus einer Zisterne der sizilianischen Vulkaninsel Pantelleria geborgen wurde, noch derjenige, der im Oktober des Vorjahres aus der Rhône bei Arles gefischt wurde, werden sich in absehbarer Zeit als gesichert erweisen. Es ist der Wille des Archäologen, der die Büste zu(m) Caesar macht. Er habe ihn sofort erkannt, soll der französische Altertumsforscher Luc Long über den Fund in der Rhone geäußert haben, ohne allerdings zu sagen, woran. Die Ähnlichkeit mit dem Turiner Kopf ist nur gering, und die dominierenden Naso-Labialfalten sind in dieser zangenförmigen Ausprägung von anderen Caesar-Köpfen her nicht bekannt. Die veristischen Züge könnten auf ein republikanisches Porträt verweisen. Und für Caesar spricht, dass er im Fundort Arles im Jahre 46 eine Veteranenkolonie gründete oder gründen ließ (durch Ti. Claudius Nero, den Vater des Kaisers Tiberius), denn persönlich kann Caesar erst im Sommer 45 in Arles gewesen sein, als er sich nach der letzten Schlacht des Bürgerkrieges auf dem Rückweg aus Spanien in der Gallia Narbonensis aufhielt.
Es wären Veteranen der dort angesiedelten 6. Legion gewesen, die die Büste aufgestellt hätten, aber wohl nicht in den Jahren 49 bis 46, wie die französischen Archäologen meinen, sondern erst 45, als Caesar nach dem erwähnten spanischen Sieg über die Söhne des Pompeius in Spanien, „gefürchtet und gefeiert wie noch kein Mensch vor ihm“ (so der Historiker Appian), allerorten Standbilder erhielt. Dass die Büste unmittelbar nach der Ermordung Caesars an den Iden den März in die Rhône geworfen wurde, wie ebenfalls behauptet, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Dazu bestand keinerlei Anlass.
Es wird nicht der letzte Caesar gewesen sein
Glauben wir den in den letzten Wochen verbreiteten Nachrichten, besitzen wir nun einen Caesar, wie wir ihn noch nicht kannten. Das ist insofern richtig, als die Büste ein Einzelstück ist. Sicherlich wird es auch nicht der letzte Caesar sein, der das Licht des einundzwanzigsten Jahrhunderts erblickt. Ausgräber geben ihren Funden verständlicherweise den prominentesten Namen, der den Umständen entsprechend möglich ist. Aber selbst wenn sich die so eilig propagierte Identifizierung als richtig erwiese, bedeutet der Fund in der Rhône für unser Caesar-Bild wenig. Es entsteht aus den literarischen Zeugnissen namentlich der Zeitgenossen und konstituiert sich in kurzen Abständen regelmäßig neu.
Wenn denn jemand Caesars wahres Gesicht zumindest ahnen will, muss er Ciceros Brief an seinen Freund Atticus vom 19. Dezember des Jahres 45 vor Christus lesen. So nah ist niemand dem Diktator gekommen. Caesar-Büsten illustrieren nur dieses von Cicero entworfene Bild. Vielleicht auch die aus der Rhône, vielleicht aber auch nicht.
The article is accompanied by the following photos (the person in the second one is Luc Long):
From Die Welt comes an interview with Luca Giuliani:
Die Welt:
Vor einigen Tagen haben französische Archäologen einen marmornen Kopf präsentiert, den sie bei Arles aus der Rhone geborgen haben und der das früheste, noch zu Lebzeiten geschaffene Bildnis Caesars sein soll, das bislang auf uns gekommen ist. Kollegen von Ihnen haben diese Deutung mit ja, jein und nein quittiert. Was sagen Sie?
Luca Giuliani:
Ich halte das für ein frühaugusteisches Porträt einer unbekannten Privatperson, von dem wir keine Repliken haben.
Was macht Sie da so sicher?
Giuliani:
Es gibt praktisch keinen Kopf aus jener Zeit - wenn er nicht weiblich, dick oder aus anderen Gründen völlig unpassend war -, der nicht schon irgendwann von irgendwem als Caesar bezeichnet worden wäre. Das ging bis in die Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts so. Seitdem hat sich unser Fach gewisse handwerkliche Regeln angeeignet. Und die sprechen in dem Fall klar gegen Caesar.
Warum?
Giuliani:
Man geht von den Münzen aus und prüft, wo man Gruppen von Repliken findet. Der Witz ist, dass Porträts von berühmten Römern kopiert worden sind und diese Kopien über das gesamte Reich verbreitet wurden. Kopien, die auf ein und dasselbe Original zurückgehen, nennen wir Repliken. Die Originale sind immer verloren, denn die waren in der Regel aus Edelmetall und haben sich daher nicht erhalten. Von den Repliken haben wir, wenn es gut geht, zwei bis drei Prozent der Köpfe, die damals produziert worden sind.
Und woher weiß man, welche Köpfe zu welcher Person gehören?
Giuliani:
Jetzt kommen die Münzen ins Spiel. Wenn Sie eine Gruppe von Repliken haben, können sie diese mit namentlich zugewiesenen Münzporträts vergleichen. Oder sie haben Repliken mit einer Inschrift - so etwas hat man aber noch nicht gefunden. Selbst von den rund 200 Augustus-Kopien gibt es keine mit seinem Namen. Oder Sie haben Galerien mit Kaiserporträts. Das Porträt Caesars, das 2003 auf Pantelleria gefunden wurde, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus solch einem Fundzusammenhang.
Und warum wird der Kopf aus der Rhone zu Caesar?
Giuliani:
Aus keinem dieser Gründe. Der Ausgräber sagt, er habe ihn sofort erkannt. Aber man fragt sich amüsiert, woran er ihn erkannt hat.
Wann fängt diese Sitte denn an, dass von einem bedeutenden Römer ein Bild hergestellt wird, von dem Repliken über das Weltreich verteilt werden?
Giuliani:
Im großen Stil mit Augustus, aber die frühesten Kopien von berühmten Römern haben wir schon um 100 v. Chr.
Von wem?
Giuliani:
Es gibt ein Porträt, von dem mehrere Repliken erhalten sind. Komischerweise werden verschiedene Namen ins Feld geführt. Ich halte es für Cato den Älteren. Andere tippen auf Marius.
Man kann also nicht sagen, dass Caesar noch in ein Experimentalstadium fällt.
Giuliani:
Auf keinen Fall.
Von Caesar soll es rund 25 Porträts geben.
Giuliani:
Von zwei Typen. Der eine ist noch zu Lebzeiten zu datieren, dazu gehört auch der Kopf von Tusculum. Der andere, ein idealisierendes Porträt mit ungeheuer starken Backenknochen, augusteischer Miene und reichlicherem Haarwuchs, stammt aus der Zeit des Augustus. Die Glatze, die der frühere Porträttypus getreu überliefert, wurde offenkundig als ästhetisches Problem empfunden.
Und Pantelleria?
Giuliani:
Ist eine Variante von Tusculum.
Und der aus Ägypten stammende Kopf aus grünem Basalt?
Giuliani:
Ich habe keine Ahnung, ob das wirklich Caesar ist. Es kann eine lokale Variante sein. Aber mit unseren Methoden ist das nicht schlüssig zu klären.
Es könnte also sein, dass in der Veteranenkolonie Arelate eine besondere Variante Caesars aufgestellt wurde.
Giuliani:
Dazu ist die Abweichung zu den anderen Typen zu stark.
Wen zeigt der Kopf aus Arles dann?
Giuliani:
Einen Gutsbesitzer, einen Magistrat, einen Soldaten. Wie gesagt, vom ganzen Habitus, von der Mimik, von der Gestaltung der Haare her gehört er in die augusteische Zeit.
Dann ist das Stück also wertlos.
Giuliani:
Nein, warum denn? Es ist ein gut erhaltenes, schönes Porträt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Münchner Glyptothek es ausstellen würde. Sie hat viele gute Stücke. Die Berliner würden es zeigen. Doch davon abgesehen: Welche Information böte uns eine weitere Caesar-Darstellung, außer, dass sie in eine bekannte Gruppe passen würde?
Sie wäre authentisch.
Giuliani:
Warum kommt das Stück auf die Titelseite von "Le Monde"? Was für ein Bedürfnis befriedigt das? Caesar gehört wie Napoleon und Hitler zu den bekanntesten historischen Figuren überhaupt. Und dann hat man auf einmal sein authentisches Gesicht. Das aber ist ein Mythos. Denn Caesars Bild ist ja keineswegs nach dem Leben geformt, sondern so, wie er oder andere ihn darstellen wollten. Mit modernen Kategorien gesagt: Es handelt sich um Wahlplakate.
Für Charakterstudien also ungeeignet.
Giuliani:
Das wissen nur die Leute vom Fach. Das Publikum aber will ihm, dem allmächtigen Diktator, in die Augen schauen.
Als vor einigen Jahren in Berlin ein Papyrus mit der vermeintlichen Unterschrift der Kleopatra präsentiert wurde, waren zwölf Fernseh-Teams anwesend.
Giuliani:
Das ist niederschmetternd. Sagt ihre Unterschrift etwas über die Frau, über ihren Charakter? Der Informationsgehalt geht gegen Null.
Aber mit solchen Funden hat es die Archäologie geschafft, von einer Exotendisziplin zum angesagtesten historischen Fach der Gegenwart aufzusteigen. Zwei der intellektuellen Leuchttürme Berlins, Ihr Wissenschaftskolleg und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, werden mittlerweile von Archäologen geführt.
Giuliani:
Ich bin gern in diesem Haus. Ob das etwas damit zu tun hat, dass ich Archäologe bin, weiß ich nicht.
Könnte man sagen: Je weniger die Menschen von der Geschichte wissen, desto mehr klammern sie sich an die Leute, die zu deren Wurzeln vordringen.
Giuliani:
Nach der Suche nach den Wurzeln des Abendlandes haben sich die Altertumswissenschaften ja frei gemacht. Wir verstehen die Antike heute als exotisch, sehen sie als ungeheuer aufregendes Laboratorium, erkennen, wie der Klassizismus die Antike missverstanden hat und wie fremd sie eigentlich ist. Das ist das wirklich Spannende.
Kämpfen Sie da nicht gegen Windmühlen?
Giuliani:
Das glaube ich auch. Wir haben viel zu lange dieses diffuse Bedürfnis des Publikums bedient und einen Fund schnell mit dem größten Namen zusammengebracht, den wir finden konnten, in diesem Fall Caesars. Ich glaube, es wäre besser gewesen, diese Erwartungen anzusprechen, sie als historisches Problem aufzudecken und dann zu zeigen, was der richtige methodische Umgang mit einem Fund sein sollte. Ich will nicht gegen Windmühlen kämpfen, aber mich ihnen behutsam nähern und ihnen langsam den Wind aus den Schaufeln nehmen. Die Gier nach dem Authentischen erklärt sich durch unser Versäumnis, beizeiten gezeigt zu haben, was wir in unserer Wissenschaft eigentlich machen.
Posted by david meadows on Jun-02-08 at 12:30 AM
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